„Dritte Haut“ und „Edens Garten“: Mit eindringlicher Sprache, subtiler Psychologie und ungewöhnlichen Perspektiven wartet Tobias Sommer in seinen ersten beiden Romanen auf. Womit er uns in seinem dritten Buch überrascht, verrät er mir im Interview.
Text vom Buchrücken „Dritte Haut“: Warum glaubt das Jugendamt, ich könne kein Hotel führen, nur weil die Ärzte behaupten, ich sei ein komplexer Fall? Warum glauben meine Betreuer, ich würde den Überblick verlieren, nur weil ich ab und zu die Zeit vergesse? Warum glaubt mein Vormund, ich könnte mich nicht um meine Gäste kümmern, nur weil ich ein Jagdgewehr besitze? Ich werde aus dieser Absteige ein Hotel machen, meine Gäste beobachten und ihre Geschichten auf meinen Arm tätowieren, bis ich den Barcode für mein Leben habe! Ich habe keine Zweifel – wäre da nicht der Junge, der meine Gedanken liest …
Eigentlich beginnt alles ganz harmlos. Oder nicht? Der Erzähler, dessen Namen Tobias Sommer erst am Ende des Buches verrät, berichtet, dass sowohl seine Eltern als auch sein Arbeitgeber, der Besitzer eines Hotels an der polnischen Grenze, auf unbestimmte Zeit verreist sind. Dass er nun die Aufgaben des Hotelchefs übernehmen muss, leuchtet ein, doch warum ist das Hotel in so einem verwahrlosten Zustand? Warum muss er die Tiere, die zum Mittagessen serviert werden, erst selbst schießen und warum werden die Hotelzimmer alle überwacht? Dann gibt es da noch den Jungen, der immer in der Nähe des Erzählers auftaucht und so spitze und hintergründige Bemerkungen macht, dass der Protagonist rasch erkennt, dass er seine Gedanken lesen kann. Der Junge sieht mehr als alle anderen und oft antwortet er gar an seiner Stelle. Zum Inhalt möchte ich nicht mehr verraten, weil es sonst die Spannung der neuen Leser schmälern würde.
Viele Rätsel gibt Tobias Sommer seinen Lesern auf und überrascht mit unterschiedlichsten Personen und ausgefeilten Dialogen. Obwohl ich seit dem letzten Drittel des Buches einen definitiven und sich am Ende als richtig herausstellenden Verdacht zur Erzählperson hatte, wurde ich doch noch sehr überrascht. Ein Buch, das Aufmerksamkeit fordert und mit dichter Sprache und ungewöhnlichen Perspektiven belohnt!
Fazit: Sehr eindrücklich erzählt Tobias Sommer, was passieren kann, wenn jemand sich für unbewohnbar hält und versucht, seine dritte Haut mit allerlei buntem Volk zu füllen. Ein ungewöhnlicher Roman von einem sprachlich sehr starken Autor.
Tobias Sommers Roman „Dritte Haut“ ist 2011 erschienen im Septime Verlag für EUR 16,40 – gebunden, 153 Seiten, unter ISBN 978-3902711083.
Text vom Buchrücken „Edens Garten“: Edens Garten ist die Geschichte eines Mannes, der um die Liebe seiner Frau kämpft und dabei ist, alles zu verlieren, sogar den Verstand. Sebastian Eden lebt mit Lena in einer spießigen Vorstadtsiedlung. Die Beziehung scheint perfekt, bis er hört, wie Lena im Schlaf einen Männernamen stöhnt. Er installiert heimlich eine Kamera im Schlafzimmer, um einen Beweis in Händen zu halten, wenn sie erneut im Schlaf ihren Geliebten verrät. Beim Sichten der Aufnahme macht er allerdings eine böse Entdeckung.
Sebastian Eden hat nichts als vage Vermutungen, fragwürdige Indizien… und ein schlechtes Gewissen. War er es doch, der seiner Frau Lena einen Seitensprung verschweigt, obwohl dieser sogar zu seiner Kündigung geführt hat. Während seine Ehe immer mehr unter den geäußerten Verdächtigungen und Sebastians einerseits agressiver, andererseits unnahbarer Verhaltsweise leidet, wird der Garten der Edens zusehens aufgeräumter. Wie viel davon Sebastian als Schlafwandler erledigt, weiß er am Morgen selbst nicht mehr. Wie lieb und verführerisch Lena sich ihm gegenüber auch immer verhält, sie schafft es nicht, Sebastian von seinem Verdacht abzubringen. Er spioniert ihr nach, verfolgt sie, überwacht und kontrolliert sie, bis sie es nicht mehr aushalten kann und er scheinbar seinen Frieden findet.
Ein Roman über die sich in den Wahnsinn steigernde Eifersucht eines Ehemannes? Ich hätte nicht gedacht, dass mich so ein Thema derart fesseln kann. Aufgrund des guten Schreibstils und der immer wieder spannenden Wendungen habe ich das Buch dann allerdings nur ungern aus der Hand gelegt und hatte es sehr schnell durchgelesen. Obwohl ein so eifersüchtiger Mensch nicht gerade sympathisch wirkt, hatte ich Mitleid mit Sebastian, der immer mehr den Boden unter den Füßen und den Blick für die Realität verliert.
Fazit: Tobias Sommer schafft es, dies einfache Thema so spannend zu schildern, dass man die verworrenen und abstrusen Handlungen von Sebastian nachvollziehen kann. Wie der Protagonist immer mehr seinen Wahnvorstellungen verfällt und die Nacht zum Tag macht, ist packend erzählt. Das Buch wirkt wie eine Warnung, die Phantasie da zu lassen, wo sie hingehört: in Träumen und in Büchern!
Tobias Sommers Roman „Edens Garten“ ist 2012 erschienen im Septime Verlag für EUR 18,40 – gebunden, 219 Seiten, unter ISBN 978-3902711137.
Tobias Sommer hat sich netterweise bereit erklärt, mir ein paar Fragen zu beantworten:
L. Mahfouz: Lieber Tobias, Du scheinst eine große Vorliebe für das Spiel mit der Wahrnehmung, dem Verschmelzen von Traum und Wirklichkeit, zu haben. Ist dies auch Inhalt Deines dritten Buches, das im Herbst erscheinen soll?
T. Sommer: Dieses Thema taucht in der Tat immer wieder in meinen Texten auf. Zwar geht es in meinem dritten Roman nicht um einen geistig behinderten Jugendlichen (Dritte Haut) und auch nicht um einen eifersüchtigen Schlafwandler (Edens Garten), sondern um einen ehemaligen Kriegsfotografen, doch schon das Thema Fotografie ist ja stets ein Spiel mit der Wahrnehmung unserer Wirklichkeit. Dieser Fotograf hat alles erreicht. Er nimmt erfolgsmüde und widerwillig einen letzten Job an, ohne zu ahnen, dass es der Auftrag seines Lebens wird, der ihn an Grenzen führt, die er besser nicht überschreiten sollte.
L. Mahfouz: Wie lange hast Du am dritten Roman gearbeitet und wie bist Du auf das Thema gekommen?
T. Sommer: Die erste Fassung von meinem dritten Roman ist fertig, jetzt beginnt der Feinschliff. Bis zur ersten Fassung habe ich mit Vorbereitung und Recherche gute zwei Jahre gebraucht.
Jedes Jahr gibt es Preise für die besten Pressefotos des Jahres. Teilweise sind unter diesen Aufnahmen Bilder dabei, die schonungslos Kriegsgebiete und das Leid der Menschen zeigen. So grausam diese Bilder sein können, so groß kann auch der Erfolg der Menschen sein, die mit diesen Bildern Geld verdienen. Dieser Gegensatz und die damit verbundene Gewissensfrage interessierte mich. So habe ich für meinen dritten Roman einen Fotografen gewählt, der mit einer Kriegsfotografie weltberühmt wurde. Ich zeige meinen Protagonisten am Ende seiner Karriere. Ein letzter, kleiner Auftrag. Er soll einen Ort fotografieren, in einem entfernten, weitläufigen Waldgebiet, das seit Jahrhunderten Selbstmörder anzieht. Diese Suche, von der er glaubt, dass er sie nach wenigen Tagen erfolgreich beenden kann, wird die Suche seines Lebens, die nicht nur die Geister seiner Vergangenheit hervorruft.
L. Mahfouz: Was macht Dir am meisten Freude beim Schreiben?
T. Sommer: Ich habe mich schon früh für Literatur und Kunst interessiert, und mir macht es einfach Spaß, spannende Geschichten und interessante, skurrile Figuren zu erfinden.
L. Mahfouz: Wie arbeitest Du? Bist Du ein Konstrukteur oder ein Drauflosschreiber?
T. Sommer: Wenn ich ein Thema entdeckt habe, dass mich fesselt, und ich überzeugt bin, dass mich die Begeisterung für dieses Thema über einen Roman hinaus trägt, beginne ich mit der Vorarbeit. Diese Vorarbeit beginnt im Kopf: – Wie kann ich das Thema in eine spannende, unterhaltsame Form bringen? – Wie will ich die Figuren und die Story aufbauen? – Wie könnte der Plot aussehen? – In welcher Zeit bewege ich mich? Ich habe immer ein Notizbuch bei mir, in das ich Ideen schreibe. Ich mache mir auch grobe Ablaufpläne, was in den einzelnen Kapiteln passieren soll. Aber diese Pläne sind für mich allenfalls Wegweiser, wo die Reise hingehen könnte. Denn im Endeffekt bin ich doch eher ein Drauflosschreiber. der sich von der Geschichte und den Figuren lenken lässt.
L. Mahfouz: Hast Du schon eine Idee für ein weiteres Buch?
T. Sommer: Da es kaum einen Tag gibt, an dem ich nicht schreibe, in mein Notizbuch kritzle oder zumindest gedanklich bei meinen Romanfiguren bin, habe ich auch schon eine neue Romanidee im Kopf. Ich bin von dieser Idee so begeistert und voller Tatendrang, dass ich sie am liebsten verraten möchte, aber das wäre eindeutig zu früh, nur so viel: Es ist im wahrsten Sinne des Wortes „übermächtig“.
L. Mahfouz: Was hast Du für 2014 geplant? Können wir Dich vielleicht bald einmal bei einer Lesung erleben?
T. Sommer: Mein dritter Roman wird im Herbst im Wiener Septime-Verlag erscheinen. Es wird sicherlich einige Lesungen, auf die ich mich schon jetzt sehr freue, in Hamburg und Umgebung geben. Die Termine werde ich rechtzeitig über Facebook ankündigen, und auch auf der Homepage vom Septime-Verlag findet man immer die neuesten Veranstaltungen.
L. Mahfouz: Lieber Tobias. Ich wünsche Dir für die Zukunft und für Dein neues Buch ganz viele begeisterte Leser und viel Erfolg! Herzlichen Dank für das Interview.
T. Sommer: Vielen lieben Dank und großes Lob an Euer Kulturmagazin.
Über den Autor: Tobias Sommer wurde 1978 in Schleswig-Holstein geboren. Er veröffentlichte zahlreiche Erzählungen und Gedichte in Anthologien und Einzelpublikationen. Seine Lyrik und Prosa wurde mit Preisen und Stipendien ausgezeichnet. Die Berliner Literaturkritik bescheinigt seinen Texten »Schönheit, Tiefe und Eleganz«. Derzeit arbeitet Tobias Sommer intensiv an seinem dritten Roman, der im Herbst 2014 erscheinen soll.
Laila Mahfouz, 9. Januar 2014
Links:
Website von Tobias Sommer
Tobias Sommer auf Facebook
Informationen zu Tobias Sommer auf der Seite des „Septime Verlages“
Informationen zu Laila Mahfouz