16. Mai 2012: Diskussionsveranstaltung der Jusos Wandsbek zum Thema „Was ist eigentlich ACTA?“. Kontroverse Meinungen und unverstandenes Urheberrecht.

Cem Berk Kreisvorsitzender der Jusos Wandsbek begrüßt seine Gäste (v. l. Dr. Walter Scheuerl, Dr. Regula Venske, Hauke Wagner, Hansjörg Schmidt, Thomas Michel)
Foto: Anders Balari
Schon lange beobachte ich äußerst skeptisch die Einschränkungen und Überwachungen, die den Internet-Usern teilweise auferlegt werden (sollen), aber auch im gleichen Maße besorgt die Debatte um Änderungen des Urheberrechts. Die Veranstaltung der Jusos Wandsbek kam mir daher sehr gelegen, um die Meinungen verschiedener Seiten zu hören. Es waren Vertreter der CDU, SPD und der Piraten sowie die Autorin Dr. Regula Venske eingeladen und obwohl die fehlenden Parteien nicht gehört werden konnten, war es doch möglich, einen guten Überblick der Standpunkte zu erhalten. Hauke Wagner, Landesvorsitzender der Jusos in Hamburg, moderierte die Veranstaltung. Sein Anzug/Krawatten-Auftritt wurde vermutlich nicht nur von mir als ein wenig fehl am Platze empfunden, grenzte er sich so doch deutlich von den anderen Rednern und Zuhörern ab. Das Thema „Was ist eigentlich ACTA?“ konnte nicht endgültig geklärt werden. Ist es nur ein internationales Abkommen, das Urheberrechte schützt oder doch nur noch mehr Kontrolle, die uns einengt?
Dr. Walter Scheuerl, Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt auf Medienrecht, betonte mehrfach: „ACTA enthält nichts, was in einem Rechtsstaat wie unserem nicht schon geltendes Recht ist.“ Etwas seltsam empfand ich jedoch die Aussage der Redner, das Thema Saatgut wäre nicht alltagsrelevant und würde daher ausgeklammert werden. Ist denn unsere Nahrung nicht alltagsrelevant? Konzernen wie Monsanto sollten mit einem internationalen Abkommen lieber endlich das schmutzige Handwerk gelegt und nicht der Weg geebnet werden. Das Thema Saatgut ist für uns alle relevant, denn es zerstört unsere Nahrungsvielfalt so stark, dass viele Getreidearten schon ausgerottet wurden. Für den Schutz unserer Nahrungsmittel und Freiheit in der Wahl des Saatguts setzt sich Dr. Vandana Shiva offenbar mehr ein als unsere Politiker.
Hansjörg Schmidt erklärte, dass viele normale User, die im Internet keine Geschäfte betreiben, nicht mehr wüssten, was sie z. B. auf ihrer Facebook-Seite teilen dürften. Wenn nun ein urheberrechtlich geschützter Inhalt gepostet wird, droht sofort eine saftige Geldstrafe. Unter Berufung auf das Urheberrechtsgesetz § 97 a Abmahnung heißt es, dass im Falle einer nur unerheblichen Rechtsverletzung die erstmalige Abmahnung auf EUR 100 beschränkt sein sollte. Von schwarzen Schafen unter den Anwälten, die in den meisten Fällen nicht einmal vom Urheber beauftragt wurden, werden allerdings für die erste Abmahnung schon EUR 850 verlangt und es folgen oft weitere Abmahnungen. Es müssten daher endlich die überfälligen Überarbeitungen solcher Restriktionen und mehr Klarheit in der Internet-Nutzung erfolgen, so Schmidt.
Sicher, da stimme ich ihm zu, nur darf diese Veränderung natürlich nicht auf dem Rücken der Künstler ausgetragen werden. Jahrhundertelang wurde für die Meinungsfreiheit gekämpft, die nur in finanzieller Unabhängigkeit von Staat und Machtelite (früher der Adel, heute die Großkapitalisten) aufrecht erhalten werden kann. Es ist daher für unsere Gesellschaft essenziell wichtig, dass Künstler von ihrer Kunst leben können, denn nur dann erhalten wir eine offene Welt, die aus mehr besteht als dem Einheitsmatsch aus Superstar und Schundroman. Obwohl politisch im anderen Lager, kann ich deshalb Dr. Walter Scheuerl nur zustimmen, der sagte: „Meinungsfreiheit ist das wichtigste Gut, das wir in unserer Gesellschaft haben.“
Die Krimiautorin und Literaturwissenschaftlerin Dr. Regula Venske klärte über die teilweise kläglichen Honorare von Autoren auf und machte außerdem deutlich, dass Künstler keineswegs dafür Kunst schaffen, um besonders reich zu werden und es ihnen im Gegenteil um höhere Werte ginge. Sie informierte, dass auf der ganzen Welt Künstler für ihre Ideen und den Kampf um das Recht auf Meinungsfreiheit in Gefängnissen sitzen. Die Autorin zitierte Art. 27 Abs. 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: „Jeder hat das Recht auf Schutz der geistigen und materiellen Interessen, die ihm als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst erwachsen.“ und § 11 Urheberrechtsgesetz und forderte ein neues Wertigkeitsdenken im Zusammenhang mit Kunst im Allgemeinen. Genau dieses Umdenken ist in unserer Fast-Food-Gesellschaft wirklich von Nöten.
Es ist möglich, dass ein weltveränderndes Werk Jahre beansprucht, um es fertig zu stellen. Wenn während dieser Zeit nicht für den Künstler gesorgt ist, dann wird es Werke wie „Faust“, „Krieg und Frieden“, aber auch solche wie „Vorabend“ von Peter Kurzeck, an dem der Autor sieben Jahre arbeitete, wohl bald nicht mehr geben. Die derzeitigen Angriffe auf Künstler, insbesondere Autoren, macht Regula Venske ratlos und in manchen Fällen sogar ein wenig sprachlos: „Mit denen die schreiben: „Wir scheissen auf euer geistiges Eigentum“, kann ich nicht diskutieren.“ An einem einfachen Beispiel machte sie klar, wie fatal jede Änderung der Dauer des Urheberrechts wäre (bisher 70 Jahre nach dem Tod des Künstlers, angedacht war Ende 2011 eine Kürzung auf 5 Jahre nach Erschaffen des Werkes): Ihr erstes Buch „Schief gewickelt“ wurde erst 17 Jahre nach seinem Erscheinen verfilmt, so dass nach der abstrusen angedachten Änderung an sie überhaupt keine Einnahmen mehr abgefallen wären. Auch könnten kunstschaffende Eltern ihren Kindern praktisch nichts hinterlassen, denn wie Konstantin Wecker erst kürzlich erklärte, läge seine gesetzliche Rente bei etwa EUR 280. Er betonte, ohne GEMA und Künstlersozialkasse praktisch keine Altersversorgung zu haben.
Wegen der sogenannten „Modernisierung des Urheberrechtes“ im Rahmen des 33. Delegiertentages der Grünen in Kiel Ende 2011 gründeten die Autorinnen Angela Eßer aus Merching (Augsburg) und Nina George aus Hamburg die Initiative „JA zum Urheberrecht“. Die Initiative ist ein Bündnis aus Autoren, Herausgebern, Verlagen und ihren Partnern und Unterstützern aus der Kultur- und Kreativwirtschaft und versteht sich als Fürsprecherin der Urheber aller kulturschaffenden Sparten. Die Mitglieder setzen sich aktiv für den Schutz des Urheberrechtes in seiner aktuellen Form, für Aufklärung und Information für AutorInnen, sowie den Schutz des Urheberrechtes vor Angriffen aus Politik und digitaler Netzwirtschaft ein. Wer sich also zum Thema Urheberrecht informieren will, dem kann ich diese Seite empfehlen.
Fazit: Zu diesem wichtigen Thema ist ein Umdenken in der Gesellschaft nötig. Kunst ist wichtig, denn Kunst macht uns alle frei und geistige wie körperliche Freiheit sollte unser höchstes Gut sein.
Laila Mahfouz, 21. Mai 2012
Links:
ACTA als pdf-Datei vom Rat der Europäischen Union
Website der Initiative „JA zum Urheberrecht“
Aktuelle Informationen finden Sie auch auf der Facebook-Seite der Intitative „JA zum Urheberrecht“.
Informationen zu Laila Mahfouz
Informationen zu Anders Balari
DIESER ARTIKEL DARF GEPOSTET UND GETEILT WERDEN!
Also wer bei ACTA das Thema „deep packet inspection“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Deep_Packet_Inspection) einfach mal so unter den Tisch fallen lässt – Achtung – ich zitiere: mit dem kann ich nicht diskutieren – und solche Internetausdrucker entscheiden über ACTA, PIPA und SOPA und arbeiten Halbtags wohl noch als Zahnarzt …
Und hätte Konstatnin nicht sein Geld durch die Nase geschnupft … aber Kleinkram. Wobei ich mich frage, wieviel Rente den die 1-Euro-Jobber dann mit 87 Jahren erhalten?
Ich konnte in der letztlich verabschiedeten Version von ACTA nichts finden, was Maßnahmen wie „Deep Packet Inspection“ in irgendeiner Weise legitimiert. Sehr gerne lasse ich mich dazu anhand des Vertragstextes belehren, der Link dazu findet sich oben im Artikel.
Die Verweigerung einer Diskussion bezieht sich eindeutig auf das oben verlinkte Bashing des Urheberrechts, das, voll auf Aggro gebürstet, verständlicherweise heftige Reaktionen und reduzierte Gesprächbereitschaft erzeugt. Die Verfasser machen sich – und das auch noch unentgeltlich – zu Provokationsagenten jener Kreise, die umfassende Überwachung in immer stärkerem Maße etablieren wollen. Ich halte Kapitalismus für falsch, u.a. weil sozial ungerecht und ich bin auch kein Freund von multinationalen Konzernen – schon ein klein wenig Beschäftigung damit reicht, um zu wissen, warum dies so ist. Dies zeigt sich auch hier auf unserem Blog wiederholt in meinen Beiträgen.
Angenommen das Urheberrecht fällt, was würde dann (unter anderem) geschehen? Multinationale Konzerne würden sich schlimmstenfalls anderen Geschäftsfeldern zuwenden. Kleine Künstler – und das ist die überwiegende Mehrheit – würden auf der Strecke bleiben, und die ohnehin schon verschwindend geringe Anzahl von Künstlern, die im Sinne der Aussage von Ernst Fischer – siehe hier: http://www.magicthoughtbox.com/2011/03/05/kunst-der-veranderung/ – aktiv sind, würde noch weiter dezimiert werden.
Selbstverständlich haben wir eine Reihe von gravierenden gesellschaftlichen Problemen. Und selbstverständlich trifft es vor allem diejenigen hart, die sich nicht oder nur schlecht wehren können. Die Frage darf nicht sein, wieviel Rente ein 1-Euro-Jobber mit 87 Jahren erhält, die Frage muss vielmehr sein, warum es überhaupt 1-Euro-Jobs gibt und ob nicht schon längst Lösungsansätze bestehen, die dies überflüssig machen können – und das sogar global. Und diese Frage muss laut gestellt werden. Sehr laut!
Es ist nachvollziehbar, dass Menschen, die wegen ihrer Einkommenssituation am normalen gesellschaftlichen Leben nicht teilnehmen können, sich online Inhalte illegal besorgen. Doch das Ziel sollte nicht sein, dies zu legalisieren, das Ziel sollte sein, diesen Menschen das ihnen momentan vorenthaltene Leben zu ermöglichen, ohne dass Gesetze gebrochen werden müssen.
Ist es nicht traurig, wenn sich Menschen, die zumindest noch in einem Boot sitzen, wenn auch häufig und zunehmend am jeweils anderen Ende, in fruchtlose „Klassenkämpfe“ verstricken oder sich gar Hass indoktrinieren lassen, während eine kleine Machtelite darüber lacht und ihre Machenschaften weiter vorantreibt?
Und schließlich zu Konstantin Wecker. Jo mei, er hat Fehler gemacht, weiß das und steht dazu. So what? Was um alles in der Welt hat seine Kokserei und Was-weiß-ich-nocherei mit dem Urheberrecht und somit mit Herrn Weckers Recht zu tun, am Verkauf und an der Nutzung seiner Kunstwerke teilzuhaben?
Vielleicht hast Du auch einfach ein falsches Bild von ihm? Sehr sehenswert: http://youtu.be/Osgjq6wkZws (…und ja, verdammt noch mal, das Posten dieses Links sollte KEINE Urheberrechtsverletzung sein…denn das ist wertvoller Inhalt in Zusammenhang mit dem Bildungsauftrag öffentlich-rechtlicher Sendeanstalten – für den sie die entsprechenden Abgaben erhalten und dem sie ohnehin schon in viel zu geringem Ausmaß nachkommen…)
Kann man den Protest gegen ACTA nun ad acta legen? In der letztendlichen Fassung konnte ich nichts finden, was per se – also etwa ohne Rechtsmissbrauch und/oder fragwürdige nationale Umsetzung, die in Deutschland aber hoffentlich wohl auszuschließen ist – nicht Hand und Fuß hätte, um einen vernünftigen Beitrag zum Schutz der betroffenen Rechte auf internationaler Ebene zu leisten. Freilich waren die Inhalte davor teilweise sehr fragwürdig (z.B. „3 Strikes“), doch ich werte den Wandel hin zum finalen Papier als ein positives Beispiel für einen fruchtbaren demokratischen Diskurs unter – wenn auch nicht proaktiver, sondern reaktiver – Miteinbeziehung von NGOs und (Welt-)Bürgern – nicht zuletzt wurde über AVAAZ an dieser Stelle Druck aufgebaut. Im Augenblick geht es auf AVAAZ gegen „SOPA“, das in den USA bedenkliche Veränderungen in der Privatsphäre und im Bereich des Datenschutzes bringen soll, unter anderem zu Gunsten von Datenkraken wie Google oder Facebook – http://www.avaaz.org – Reinschauen lohnt sich, wenn man aktiver Weltbürger sein möchte!