3. Mai 2012: Wieder einmal ist es der Familie Paschen gelungen, für ihren Literatursalon einen hochkarätigen Autor zu gewinnen, der es mit Leichtigkeit verstand, das Publikum zu begeistern. Peter Kurzeck las aus „Vorabend“ und erzählte, von Denis Scheck hervorragend moderiert, aus seinem Leben und von der Entstehung seiner Bücher.
Jan Paschen begrüßte den Schriftsteller Peter Kurzeck, der sein neues Buch „Vorabend“ vorstellte, Denis Scheck („Druckfrisch!“ ARD), der im Gespräch mit Kurzeck durch den Abend führte sowie die zahlreich erschienenen Besucher im Paschen Literatursalon. Der schon in der 5. Generation inhabergeführte Familienbetrieb für stilvolle Bibliotheksmöbel bot den perfekten Rahmen für den in vieler Hinsicht unvergleichlichen Abend.
Peter Kurzeck berichtet, schon mit fünf Jahren, als er schreiben gelernt hatte, den Zwang verspürt zu haben, die Einzelheiten der Welt niederzuschreiben, damit nichts vergessen werden konnte. Da es bald schon nicht mehr möglich war, jedes Detail aufzuzeichnen, begann er schon damals, sich die selbst erlebten Ereignisse schriftlich zu erzählen. Peter Kurzecks Mutter hatte nie ein Buch gelesen und sein Vater, der viel las, aber wohl sein Leben lang darunter litt, nicht selbst geschrieben zu haben, versuchte ihn zu entmutigen, dennoch zeigte Kurzeck eine außergewöhnliche Beharrlichkeit und ließ sich zum Glück vom Schreiben nie abzubringen. Vielleicht hängt der Drang, alles schriftlich festzuhalten mit der Vertreibung aus seiner böhmischen Heimat zusammen. Peter Kurzeck berichtete: “Als es im Jahre 1964 zum ersten Mal erlaubt war, nach Tschechien einzureisen, fuhr ich sofort dorthin und von 1964 – 1970 habe ich jedes Jahr mehrere Reisen dorthin gemacht.“ Auch die literarischen Verbindungen mit Prag vertieften sich zusehends und der Autor verriet, dass er sich nun sogar vorgenommen hatte, die ersten Seiten des nächsten Buches in Prag zu schreiben und im Januar/Februar 2012 zu eben diesem Zweck einige Wochen dort verbrachte.
Peter Kurzeck ist ein Ausnahmeschriftsteller, doch hat er wie alle Künstler natürlich auch ein paar Eigenheiten. Die Armbanduhr, die er von seinem Vater geschenkt bekam, wird zum Beispiel immer mit dem Ziffernblatt an der Handinnenseite getragen und geht stets etwa 5 min vor. Kurzeck, der früher auch zu eigenen Lesungen oft verspätet eintraf, erklärte, es gelänge ihm seither auch, einige Züge pünktlich zu erreichen und gestand: “Ich neige zum Trödeln und halte das Trödeln für eine ganz wichtige Eigenschaft, besonders für Schriftsteller.”
Kurzeck gibt zu, jeder Art von Schönheit verfallen zu sein, doch auf Schecks Einwurf, er wäre dann wohl ein potentieller Juwelendieb, verneint er: “Nein, Juwelen zählen nicht dazu, aber zum Beispiel Grashalme…” Es ist gerade diese Einfachheit, aus der Kurzeck größte Schönheit zaubert, da sie wohl einen großen kreativen Schatz in ihm freisetzt. Er nimmt seine Umgebung in sich auf, er filtert und setzt das erlebte in poetische Worte um. Auch kann wohl niemand sicher sein, nicht in einem Buch von Peter Kurzeck aufzutauchen, wie das Pärchen, welches dieser eines Tages in der Fußgängerzone sah und das dann einfach für einen Teil des Buches die Führung übernahm, denn laut Kurzeck wird die Handlung dadurch bestimmt, wer ihm über den Weg läuft. Der Autor schwärmt: “Es ist schön, sich so hinreißen zu lassen. So habe ich das ganze Buch sieben Jahre lang geschrieben.”
Peter Kurzeck las einen Ausschnitt aus „Vorabend“, in dem es um eben dieses Pärchen geht oder auch um den Traum nach der perfekten Lederjacke, der den Mann seit seinem sechzehnten Lebensjahr begleitet. Dem Schriftsteller, der eindringlich und mit großartiger Betonung las, gelang es, dieses Thema fast 40 Minuten so interessant und variationsreich zu behandeln, dass das Publikum begeistert und verzückt lauschte. Ob sich der Mann über den Kauf von drei exklusiven Lederjacken in nur zwanzig Minuten freute, nachdem ihm bis dahin nur immer Jacken mit irgendwelchen Mängeln begegnet waren oder er ganz wunderbare Sätze wie „Sie spricht schon die ganze Zeit mit Ausrufezeichen!“ gerade durch die leise Handlung hervorhebt, alles wirkt authentisch und wie aus einem Guss. Besonders auffällig ist der durch jahrelanges Schreiben perfektionierte Stil Kurzecks, der sehr oft Ellipsen nutzt, also das Verb im Satz weglässt, und so einen besonderen Effekt erzeugt. Denis Scheck hob hervor, wie wunderbar Peter Kurzeck Perspektivenwechsel gelingen. Über zirka sechzig Seiten hinweg erzählt er in „Vorabend“ die Handlung sogar aus der Sicht der Igel und schafft dadurch einen für viele Menschen ungewöhnlichen Blickwinkel.
Peter Kurzeck: »Schon mein ganzes Leben lang
wollte ich dieses Buch schreiben.«
Auf Nachfrage von Denis Scheck erzählt Peter Kurzeck, wie er endgültig die Schriftstellerei zu seinem Beruf und nicht mehr „nur“ zu seiner Berufung gemacht hat. Nach drei Jahren Einzelhandelslehre fuhr er mit gerade achtzehn Jahren erst einmal nach Paris, um sich, wie er erklärte, zu beweisen, dass es Paris wirklich gab. Nach drei Wochen kannte ihn zwar kein Mensch dort, aber der Verdacht die Stadt kenne ihn, hatte sich eingestellt und gab ihm ein Gefühl von Heimat in der Ferne. Anschließend suchte er eine Arbeit, die ihm Zeit für seine schriftstellerischen Tätigkeiten lassen würde und nicht Inhalt seines Lebens sein sollte. So war er dann zehn Jahre Personalchef bei der US-Army, bis er am 19. August 1971 aufwachte und wusste: „Da darfst du nie mehr hingehen!“ Seit diesem Tag ist Peter Kurzeck allen Hürden zum Trotz ausschließlich Schriftsteller.
Obwohl die Idee zu „Vorabend“ ursprünglich aus einem Nebensatz des vorigen Buches entstand, war das Manuskript am Ende so dick und von so vielen handschriftlichen Änderungen übersät, dass nur der Autor selbst es entziffern konnte. Kurzeck erklärte seinem Verlag also, dass er entweder noch einmal Jahre mit der Abschrift zubringen und darüber vermutlich wahnsinnig werden würde oder den ganzen Roman diktieren müsse. Das Problem wurde schließlich durch eine Ausschreibung nach freiwilligen Helfern gelöst. Es meldeten sich so viele Menschen, die sich bereit erklärten, ihre Zeit gern dem Diktat des Romans zu opfern, dass der Verlag einen Einteilungsplan erstellen musste. Verlag und Autor waren überrascht und erfreut über die unerwartet große Resonanz und ließen die Diktate öffentlich im Literaturhaus stattfinden. Innerhalb von drei Monaten wurde der mehr als 1000 Seiten umfassende Roman auf diese Weise fertiggestellt.
»Das Buch ist genauso geworden, wie ich es haben wollte,
sonst hätte ich ja nicht aufhören können damit.«
Fazit: Die ungewöhnlichen Lesungen im Literatursalon Paschen sind aus Hamburgs Literaturszene nicht mehr wegzudenken. Immer wieder gelingt es den Organisatoren, Ausnahmekünstler als Gäste begrüßen zu dürfen. Denis Scheck, Lesern bestens aus der ARD Sendereihe „Druckfrisch!“ bekannt, erwies sich einmal mehr als hervorragender Moderator und Buchkenner. Peter Kurzeck erweckte mit seiner ungewöhnlichen Schreib- und Erzähltechnik den Zauber des geschriebenen und gesprochenen Wortes und ließ ihn auf das begeisterte Publikum wirken.
Peter Kurzeck „Vorabend“, gebunden, 1022 Seiten, erschienen beim Stroemfeld Verlag für EUR 39,80 unter ISBN 978-3866000797.
Laila Mahfouz, 5. Mai 2012