25. April 2012: Im Rahmen der Vattenfall Lesetage las Mathias Gatza in der Galerie kulturreich in Hamburgs Neustadt Ausschnitte aus dem erfolgreichen, in diesem Jahr beim Graf Verlag (Ullstein) erschienenen Buch „Der Augentäuscher“, berichtete von seinen Recherchen, den jahrelangen Studien des Barock und dem wahren Kern der Geschichte. Ein sympathischer Autor, der ebenso wie seine Werke das Publikum zu überzeugen weiß.
Um 19 Uhr sollte die Lesung aus Mathias Gatzas „Der Augentäuscher“ in der Galerie kulturreich beginnen und der Autor nahm am Pult Platz. Schließlich wurde aber dennoch auf eine Besucherin gewartet, die sich etwas verspätet hatte und in das irgendwann unangenehme Schweigen bemerkte der viels(e/a)itige Autor: „Hätte ich das gewusst, hätte ich meine Gambe mitgebracht.“ Bereits mit dieser Auflockerung hatte Gatza sein Publikum für sich gewonnen und alle hätten den Klängen seiner Kniegeige wohl gern gelauscht, gaben sich dann aber doch ohne Bedauern mit einer erklärenden Einführung in das komplexe Werk zufrieden.
Inhaltsbeschreibung – übernommen von der Verlagsseite: Es war nichts als eine dunkel angelaufene Metallplatte, in die die Zahl 1673 geritzt war. Aber der Fund war spektakulär. Die Reste eines Photos aus dem 17. Jahrhundert? Obwohl die Photographie erst im 19. erfunden wurde? Humbug, völlig unmöglich. Niemand glaubt dem verkrachten Wissenschaftler. Im Jahr 2002 jedoch, bei den Aufräumarbeiten nach dem Elbhochwasser in Dresden, stößt er auf einen Druckbogen im Bleisatz, dessen verklebte Seiten er löst und: das zweite Glied einer großartigen Beweiskette entdeckt. Schilderungen über einen gewissen Silvius Schwarz, hochbegabter Stillleben-Maler, Libertin und Atheist, der in Dresden aus einer Camera obscura ein künstliches Auge gebaut hat. Seine Geliebte, die wilde, schöne Sophie von Schlosser, berühmte Mathematikerin und Gambenvirtuosin, war ebenso Anlass für Neid und Missgunst wie Silvius’ Erfindung: die Eins-zu-eins-Wiedergabe der Natur. Nur wenigen gewährt er einen Blick auf seine Kunst, und dann nur flüchtig,bei Kerzenschein … Bald als Magier und Blasphemiker gejagt,wird Silvius auch noch verdächtigt, mit den geheimnisumwobenen Ritualmorden zu tun zu haben, die die höfische Welt erschüttern …
Die einzelnen Erzählstränge von der heutigen bis in die barocke Zeit sind wunderbar miteinander verwoben und zeichnen sich durch eine sehr gut recherchierte und ausgefeilte Sprache, feinen Witz und Ideenreichtum aus. Die Erfindung der Photographie wird zweihundert Jahre weiter in die Vergangenheit verpflanzt. Wer sagt uns denn, dass dies nicht möglich gewesen und ein solcher Erfinder nicht wirklich hingerichtet worden wäre? Mathias Gatza liest langsam und wohl betont und entführt so mit einer ihm eigenen Leichtigkeit in eine lang vergangene Zeit.
Die wohl allen Romanautoren am häufigsten gestellte Frage nach dem Realitätsgehalt ihres Buches war denn auch gleich die erste, die es für Gatza zu beantworten galt. Er bestätigte, dass es diesen wahren Kern tatsächlich in Person des holländischen Malers Johannes Torrentius gäbe, von dem nur noch ein einziges Werk erhalten ist. Torrentius besaß die außergewöhnliche Fähigkeit, die Augen des Betrachters so zu täuschen, dass ihm die gemalten Motive echt schienen. Für diese Kunstfertigkeit wurde er der Gotterslästerung und Unzucht angeklagt und entging seiner Hinrichtung nur knapp.
„Um uns die einfachsten Dinge vorzustellen, brauchen wir Bilder.
Die Augen können aber nicht die Natur der Dinge begreifen,
sondern nur, wie uns die Dinge scheinen.“
Mathias Gatza studierte die noch erhaltenen Gerichtsakten und Foltermitschriften des Malers und erhielt faszinierende Einblicke in die uns inzwischen fremde Zeit. Diese schillernde, ja magische Gestalt war sicher eine reiche Inspirationsquelle für Mathias Gatza, der an die Verwendung von Ätzverfahren glaubt, da sich die verschwundenen Gemälde Torrentius‘, der zu seiner Zeit einer der gefragtestens Maler war, seiner Meinung nach nicht anders erklären lassen.
„Ich mache das, was ich auch als Kind gerne machte.“
Auch sprachlich war der Autor gezwungen für die Recherche des Romans tief in die Materie einzudringen. Er berichtete zum Beispiel von den neuen Wortschöpfungen wie „Augenblick“, die entstanden sind, als keine Fremdwörter mehr Einzug in die deutsche Sprache erhalten sollten. Plötzlich schwebten vor dem Fenster im Rücken des Autors Seifenblasen für einen Augenblick in der Luft und untermalten die Stimmung mit ihrer unnachahmlichen Magie.
Der Raum in der Galerie kulturreich war für diese Veranstaltung gut gewählt. Unverständlich blieb mir jedoch, warum die Veranstalter es zuließen, dass aus dem Nebenraum, der nur durch eine dünne Holztür vom Saal getrennt war, laute Stimmen, ja geradezu Partystimmung hindruchdrangen und damit die Konzentration auf den Romantext erheblich störten. Es wäre ein Leichtes gewesen, dies mit ein paar freundlichen Worten in einer der vielen Lesepausen zu beheben, denn den Verursachern dieser Störgeräusche war vermutlich nicht einmal klar, dass sie so laut zu hören waren. Meiner Meinung nach zeugt es von einer Respektlosigkeit dem Autor ebenso wie den Gästen gegenüber und ich würde den Veranstaltern empfehlen, zukünftig Rücksicht darauf zu nehmen.
Um Seelenverwandte, Gescheiterte und sich in einen Wahn Trinkende geht es in Mathias Gatzas erstem Buch „Der Schatten der Tiere“. Die Geschichte um einen Verleger, der Tiere den Menschen vorzieht, wurde als traurig-schönste Liebesgeschichte 2008 bezeichnet und ist damit so ganz und gar anders als „Der Augentäuscher“, dessen Fortsetzung Gatza bereits angekündigt hat. Ich bin sehr gespannt, welche Werke der außergewöhnliche Autor im Laufe der Zeit noch vorlegen wird.
„Es gibt eine Fortsetzung von diesem Buch.“
Fazit zu „Der Augentäuscher“: Es handelt sich um eine aufwendig recherchierte und wunderbar umgesetzte Geschichte, die viel zum Nachdenken anregt, aber nicht so „bierernst“ daher kommt, wie der Klappentext vermuten lassen könnte. Nach allem, was ich bei der Lesung hören durfte, stimme ich dem Autor zu, dass es sich um ein „witzenschaftliches“ Buch handelt, dessen subtiler Humor in allen Momenten spürbar ist.
Mein Dank geht an die Veranstalter, die diese Lesung ermöglicht haben und natürlich besonders an den sympathischen Autor, der mir freundlicherweise ein Glas Wasser hinter der Bar servierte, für alle Fragen bereitwillig zur Verfügung stand und freudig seine Bücher signierte.
Laila Mahfouz, 27. April 2012